ANTHROPOLOGIE
VON ARCHITEKTUR UND HABITAT
ARCHITEKTUR, RAUM UND SEDENTÄRE KULTUR - AUF DEM
WEG ZU EINER GLOBALEN ANTHROPOLOGIE
Umrisse einer Theorie
zur Evolution des
architektonisch demarkierten Siedelns
von Nold Egenter
Architektur- und Habitat-Anthropologie (AHA) hat folgende 5
Punkte zum Inhalt:
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Sie geht aus von einer Kritik der zeitgenössischen Architektur und
Stadtplanung
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Auf anthropologisch breitester Grundlage werden wissenschaftlich erarbeitete
Daten für eine verlässliche Theorie von Architektur- und Stadtplanung
bereitgestellt.
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Aus der rekonstruierten Evolution des architektonisch demarkierten Siedelns
ergibt sich eine neue Kultur-Entwicklungstheorie.
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Aus dieser neuen Kulturtheorie leitet sich im weiteren auch eine neue und
brisante Kulturkritik ab, die die europäischen Disziplinen als eurohistorische
Projektionen weitgehend in Frage stellt
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Schliesslich wird eine globale Anthropologie als Zukunftsmodell skizziert.
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ARCHITEKTURTHEORIE
Die anthropologisch definierte Architekturtheorie kritisiert
Modernismus und Postmoderne hinsichtlich der folgenden Punkte:
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Die herkömmlichen sog. Architektur-Theorien der Kunsthistoriker und
Architekten sind beliebig. Sie beruhen lediglich auf subjektiv aesthetischen
Prinzipien.
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Aus dieser Beliebigkeit des Theoretisierens ergibt sich das Chaotische
unsererer Städte und Vorstadt-Landschaften.
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Architektur und Urbanismus haben bis heute keine seriöse wissenschaftliche
Forschung aufgebaut. In Bezug auf die wirtschaftlichen Dimensionen eines
Staates und die Auswirkungen auf die Bevölkerung ist dies skandalös.
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Der Architekturbegriff wird auf Kunst reduziert, die wissenschaftliche
Betrachtung von Architektur und Städtebau wird dem Kunsthistoriker
überlassen.
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Architektur als Kunst blieb entsprechend zäh im Sog des Renaissance
Mythos vom profanisierten Schöpfer Genius.
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Das subjektivierte Kunst-Künstler Schema ist nicht adäquat für
die Produktion von Architektur und Städtebau.
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Architekten sind bezüglich der Komplexität von Architektur und
Städtebau überfordert. Nötig wären wissenschaftliche
Institutionen wie jene der Medizin, die systematische Grundlagenforschung
betreiben und sie den praktizierenden Institutionen zur Verfügung
stellen.
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Raum ist grundlegend für Architektur und Urbanismus, doch wurde dieses
Problem nie systematisch untersucht. Modernisten haben den anthroplogisch
strukturierten Raum missachtet und zerstört indem sie einen völlig
inadäquaten Raum einführten: den homogenen Raum der Physik und
der Astronomie.
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Dies produziert die vor allem sozialpsychologisch als inhuman kritisierten
Städte und Landschaften. In ihnen regiert die Mobilität als Prinzip
zwischen beliebigen Raumpunkten, nicht mehr der Mensch.
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Der Kunsthistoriker oder Architekturkritiker operiert mit einem der Grundbegriffe
der Kunstwissenschaft, dem Stilbegriff. Doch dieser erfasst nur ganz oberflächliche
Kriterien. Architektur wird enstprechend nach irrelevanten Details klassifiziert.
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Der oberflächliche Stilbegriff, resp. seine Akkumulation im 19. Jhdt.
war wesentlich verantwortlich für den human problematischen Umbruch
der Moderne.
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Nota bene: die Moderne verstand sich als grundlegend neu und platzierte
sich ausserhalb der Stilgeschichte.
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Durch seine Deklaration des Todes der Moderne hat Charles Jencks auf höchst
oberflächliche Weise die längst tot geglaubte Stilgeschichte
wieder erweckt.
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AUFBAU EINER
ANTHROPOLOGISCH DEFINIERTEN ARCHITEKTURTHEORIE
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Der altmodische Stilkram wird ausser Kraft gesetzt, indem sich Architektur
nun anthropologisch neu definiert als alles vom Menschen und seiner Vorgängern
einst und jetzt Gebaute.
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Vier Klassen werden unterschieden: subhumane Architektur
(Nestbau der höheren Menschenaffen); semantische Architektur
(in natürlicher Landschaft errichtete Zeichen und Symbole ohne Innenraum,
Religionswissenschaftlich: Fetisch, Geisterhüttchen etc.); domestikale
Architektur (Bauten mit Innenraum zur Unterbringung von Dingen,
Materialien, Tieren und Menschen); sedentäre Architektur
(grossflächig horizontale Ordnung semantischer und domestikaler Architektur).
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Architektur- und Habitat-Anthropologie ist Dachbegriff neuer Forschungszweige
wie
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Architektur- und Habitat-Primatologie,
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Architektur- und Habitat-Archaeologie,
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Architektur- und Habitat-Geschichte,
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Architektur- und Habitat-Ethnologie.
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Architekturanthropologie führt ein neues 15-22 Millionen altes Protokultur-Artefakt
in die Vorgeschichts--Klassifikation ein, den Nestbau der höheren
Menschenaffen. Das Nest ist ein entscheidender Teil der täglichen
Existenz aller drei Arten von Menschenaffen. Der Nestbau wird als eine
neue Industrie in die vorgeschichtliche Periodisierung eingefügt,
die 'prä-lithische fibrokonstruktive Industrie' (mit entsprechenden
Subphasen). Wichtigste Konsequenz: die Hand ist das erste 'Werkzeug'!
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Das Wesentliche, das die ganze prämoderne Weltarchitektur, auch die
traditionell rurale der Ethnologie bestimmt, entgeht der Kunstwissenschaft:
die polarkategoriale Harmonie (pro-Portion). Diese 'Primär-Aesthetik'
hat sich offensichtlich im Bereich fibrokonstruktiver Industrien herangebildet
(Egenter 1994).
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Die ganze prämoderne Architektur ist nach zwei wesentlichen Schemata
aufgebaut: (a) Horizontales Polaritäts-Schema (oder Zugans-Orts-Schema)
und b) das vertikale Polaritäts Schema. Alle prämoderne Architektur
gehorchte diesen zwei Grundprinzipien des polarkategorialen Gliederns.
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Polarität als harmonisch intendiertes Prinzip ist inkompatibel zur
Analytik, zur Wissenschaft. D.h. der Kunsthistoriker als wissenschaftlich
ausgebildeter Mensch hat Schwierigkeiten, Kunst adäquat zu beschreiben,
weil diese harmonisch, somit antithetisch strukturiert ist.
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Polarität als primärästhetisches Erkenntnissystem führt
uns zu interessanten Einsichten im Bereich der Kulturtheorie: die enge
Verbundenheit der Primärästhetik zur frühen Philosophie
und Religion.
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KULTURTHEORIE
• Die systematisch-entwicklungstheoretische Untersuchung des hominoiden
und hominiden Demarkations- und Siedlungsverhaltens ist höchst fruchtbar.
• Sie vermag theoretisch klare Entwicklungslinien aufzuweisen:
• Sehr wahrscheinlich dank ihrer zunehmenden Körpergrösse
begannen sich die frühesten grossen Affen im Miozän, vor ca.
22 Millionen Jahren ihre Nächte in horizontal schlafender Position
zu verbringen, indem sie sich im Astwerk Nester bauten. Wir können
entsprechend für die von den Yerkes (1929) vorgeschlagene 'Konstruktivität'
als protokulturelles hominoides Verhalten eine beachtliche zeitliche Tiefe
annehmen.
des konstruktiven Verhaltens vom routinierten Nestbau der Pongiden,
resp. der Miozän Prototypen der grossen Affen (ca. 22 Millionen Jahre)
über die architektonisch demarkierte Eroberung des Raums (vermehrte
territoriale Kontrolle über Nahrungsbeschaffung (Paläo- und Mesolithikum;
tectiformes etc.), Haus- und Siedlungsentwicklung (Alte, Mittlere und Neue
Altsteinzeit)
• Die Grundlagen der frühen Reichs- und Städtebildungen der
Bronzezeit
• Die eigentliche Geschichte als Geschichte der Staatsbildungen mit
Stadtbildungen und agraren Landschaften (Urban versus Rural-Dichotomy).
• In dieser Kulturtheorie zeigen sich relativ klare Verhältnisse,
weil sie sich von unten, mit wenigen Initial-Parametern entwicklungstheoretisch
aufbaut, im Gegensatz zu rationalistischen Theorien, die in einer Vielheit
modern-entwickelter Parameter beliebige Definitionen erlauben, die dann
zurückprojizierend bearbeitet werden (moderner Pluralismus).
• Kurz, die Disziplinen der Humanforschung erweisen sich entwicklungstheoretisch
als Spätphänomen, das für die Darstellung früher und
nicht-europäischer Kulturen enorme Verzerrungen produziert .
• Die Weltgeschichte wird in vier Phasen eingeteilt:
(1) Hominoide temporäre Nachtlager und andere Weg- etc. Zeichen
im Aktions-Raum
(2)
(2) prä- und para-urbanes lokal-rurales Siedlungskontinuum [Vorgeschichte,
jedoch in traditionelle 'rurale' Gesellschaften hinein kontinuierend]
(3) Frühe theokratische Stadt-Reiche
(4) Geschichte städtischer Vorherrschaft
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KULTURKRITIK
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Der Titel ‚Implosion‘ beruht auf der Raumanthropologie Bollnow‘s und ist
in diesem Sinne kritisch gemeint. Der moderne Mensch hat den Masstab für
seine Aktivitäten verloren. Das Raumbewusstsein ist hierin ein entscheidender
Punkt.
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Die christliche Religion hat in erster Phase ihre theokratische Verfassung
auf dem Neoplatonismus aufgebaut, der das bloss Ideelle favorisiert. In
nachscholastischer Zeit hat die römische Kirche zuerst den neuen universellen
Raum abgelehnt, weil er die biblische Schöpfungsgeschichte in Frage
stellte, ihn dann aber sukzessive integriert, weil er das polare Verhältnis
von Himmel und Erde und damit das Recht Gottes auf die Welt quasi autonom
auf den ganzen Globus projizierte.
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Die Historie als Methode bezieht sich auf ‚Zivilisationen‘, das heisst
entwickelte Hochkulturen, die sie als Anfänge des Hochkultur-Status
versteht. Das ist aber ein falsches Bild.
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Zum einen favorisiert es bloss die urbanen Kerne der Weltoberfläche,
das rural agrare Land wird abgewertet.
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Zum zweiten versieht es vornehmlich die geschriebenen historischen Anfänge
mit Glanz und Glorie, wertet sie als ‚Anfänge der Menschheit‘ (im
Rahmen einer best. Kultur), oder auch die frühen monumentalen Architektur-
oder Kunsterscheinungen. Meist sind diese ‚Anfänge‘ jedoch klar als
‚Uebergangsfelder‘ aus vorgeschichtlich-dörflichen Agrar-Kulturen
zu erkennen.(zB. Altägypten, Mesopotamien, Indien, China, Japan).
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Aehnliches gilt für die Philosophie. Die Vorsokratiker sind klar das
Uebergangsfeld zur Griechischen Philosophie. ‚Platon‘ und Aristoteles sind
nicht die Genies für die man sie historisch nimmt. Sie sind stark
auch von zeitlichen Bedinungen geprägt (Platon und Aristoteles stehen
in einem vorderorientalisch-imperial beeinflussten komplementären
Verhältnis).
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Die Wissenschaft ist nicht eine absolute Errungenschaft des griechischen
und europäischen Menschen. Es ist eine Entwicklung aus einem älteren
kognitiven System, das im Sozialen, in der Kunst und in der Religion etc.
weiterlebt: die Polarität.
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GLOBALE ANTHROPOLOGIE
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Die Anthropologie ist heute noch stark von ihren historischen Bedingungen
geprägt (Mühlmann 1968), das heisst sie behandelt lediglich Gebiete,
die ihr herkömmlich zugewiesen wurden, von Zoologie und Medizin her
etwa Paläoanthropologie, physische Anthropologie und Primatologie.
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Der amerikanische Versuch, kulturelle Anthropologie als Dachbegriff von
Kulturtheorien zu verstehen, hat sich nicht bewährt. Dort wo die Geschichte
als Methode dominiert, hat die 'Kulturanthropologie' nicht viel zu suchen.
Sie wird entsprechend in Drittweltgebiete abgedrängt, wo es um 'Natur'-nahe
Stammeskulturen u. dgl. geht.
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Auch das 'Soziale' als Grundlage der 'social anthropology' blieb theoretisch
enttäuschend, blieb mangels kulturgeschichtlichen Quellen auf die
irreführende Natur-Kultur Dichotomie fixiert
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All diese Schwachpunkte, vor allem auch die Fixation der Teilgebiete (Archäologie,
Kunst, Religion, Philosophie) auf die historische Methode und die Probleme,
die damit verbunden sind, die Anthropologie zum Dachbegriff aller Humanforschung
zu erheben, hindern sie daran, wissenschaftlich effizient zu werden.
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Aus dem hier Dargelegten ist es jedoch durchaus denkbar, dass es der Anthropologie
gelingt über das hominoide und hominide Siedlungsverhalten neue Kontinuitäten
aufzuweisen, die theoretisch in zeitlichen Tiefen von 22 Millionen Jahren
fassbar sind,
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Etwa mit dem Begriff ‚nukleare Demarkation‘ (Kerngrenzen) - lassen sich
von einer Siedlungsanthropologie her die Strukturen modernen urbanen oder
nationalen Siedelns neu beleuchten, etwa mit dem kulturell ungeheuer wichtigen
Konzept 'nukleare Demarkation' ('mittige [oder zentrale] Grenzen').
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Entsprechend kann Anthropologie zur Methode der Geschichte kritisch in
Konkurrenz treten, indem sie deren Schwächen blosslegt, etwa ihre
Fixation auf den vagen Begriff Kultur und dessen endlose Differenzierung
oder ihr 'Syndrom der falschen (und falsch glorifizierten) Anfänge
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Indem Habitat-Anthropologie derart mit systematischen Methoden arbeitet,
die jenen der Naturwissenschaften gleichen, indem sie weiter sich auf völlig
neue Quellen richtet (fibrokonstruktive Industrien) und die herkömmlichen
Quellen völlig neu systematisch organisiert, e.g. anthropologische
(ethno-prä-historische) Definition der materiellen Kultur, kann es
ihr gelingen, die herkömmlich bloss historisch dargestellten Kulturen
zu durchdringen und zu einem neuen, anthropologisch begründeten, global-humanen
Weltbild vorzustossen.
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SCHLUSS